Stay soft oder weinen erwünscht!

Wann haben Sie zum letzten Mal die Zähne zusammengebissen und nicht gezeigt, wie Sie sich wirklich fühlen? Wann haben Sie lauthals in der Öffentlichkeit gelacht oder ungehemmt geweint, weil Ihnen gerade danach war? Gefühle zeigen – ungehemmt lachen, weinen, schweigen, schreien und all das in der Öffentlichkeit?! Anhänger*innen der ‚Radical-Softness-Bewegung‘ setzen sich dafür ein, dass Gefühle und psychische Erkrankungen enttabuisiert werden. Sie wünschen sich und arbeiten an einer Welt, in der Gefühle erlaubt sind, in der wir uns nicht unserer emotionalen Verfasstheit schämen müssen.

Wir kennen es vermutlich alle. Beim Aufstehen am Morgen merkt man schon – heute bin ich irgendwie nicht gut drauf. Oder plötzlich mitten am Tag überrollen uns Trauer und Schmerz, obwohl der geliebte Mensch doch schon seit langem fehlt und man ‚drüber hinweg sein sollte‘. Und am Ende des Tages ist einem einfach nur noch zum Heulen zumute, aber die Essenseinladung ist schon lange zugesagt, also setze ich wieder mein Lächeln auf. „Radical Softness ist die Idee, dass unapologetisch deine Emotionen zu teilen ein politischer Akt ist und ein Statement gegen die gesellschaftliche Vorstellung, dass Emotionen ein Zeichen von Schwäche sind.“, so erklärt Elliott Tender die ‚Radical Softness Bewegung‘ auf seinem You-Tube-Kanal und bezieht sich dabei auf die US-amerikanische Künstlerin Lora Mathis, die dieses Konzept ins Leben gerufen hat. (https://www.youtube.com/watch?v=mcXOHMGJexo, Stand: 8.7.19) Hinter diesem Konzept steht die Überzeugung, dass unsere Gefühle nicht nur reine Privatsache sind, sondern auch gesellschaftspolitische Bedeutung haben – „Radical Softness is a weapon.“ (Radikale Schwäche ist eine Waffe.).

Es verändert die Welt, wenn es erlaubt ist auch in der Öffentlichkeit zu seiner Trauer zu stehen und einfach zu weinen, weil mir gerade jetzt danach ist, ganz gleich ob ich eine Frau oder ein Mann bin. Es verändert unsere Welt und die Teilhabe aller an unserer Gesellschaft, wenn es möglich ist am Arbeitsplatz zu sagen, dass es keine Grippe war, die einen ans Bett gefesselt hat, sondern eine Depression. All das erfordert Mut, viel Mut, und es macht noch verletzlicher als man eh schon ist. Aber sich als ‚Softy‘ zu zeigen, ändert den Status Quo: Man arbeitet gemeinsam an einem Gegenentwurf zu unserer Welt, in der Gefühle der Trauer, der Erschöpfung, der Überforderung oder der Wut unterdrückt werden müssen, weil man Sorge hat, als zu schwach und zu wenig belastungsfähig angesehen zu werden. ‚Soft zu sein‘ bedeutet sich nicht zu schämen für die eigene Verletzlichkeit und eigene (physische und psychische) Begrenztheit und nicht solange weiter zu funktionieren, dass die eigene Seele Schaden nimmt. ‚Soft zu leben‘ bedeutet darüber hinaus, auf die eigene Seele und die Seele der Anderen achtzuhaben. Das ist meiner Meinung nach übrigens gut biblisch eine solche radikal softe Haltung zum Leben zu haben.

Von Jesus wird uns u. a. überliefert die Einladung all derer, die nicht leistungsfähig scheinen: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken!“ (Mt 11,28) Und auch im Brief des Paulus an die Kolosser heißt es: „Ertragt euch gegenseitig und vergebt einander, wenn einer dem anderen etwas vorwirft. (…) Und über all das legt die Liebe an. Sie ist das Band, das alles andere zusammenhält und vollendet.“ (Kol 3,13f.)  Also: Lasst uns einander lieben mit unseren Emotionen, unseren Gefühlen. Schämt Euch nicht – nicht für Tränen, nicht für Freude, nicht für Erschöpfung, nicht für Trauer! Teilt Euren Schmerz und übt das Soft-Sein. Wenn wir es gemeinsam tun, verändern wir diese Welt Stück für Stück. 

Ihre Annina Ligniez

ANGEDACHT 2019

FebruarSieghard FlömerEinfach mal versuchen!
MärzSieghard Flömer

Was soll das schon bringen?

JuniSilke ReinmuthWas für ein Vertrauen...
AugustRainer WilmerBraucht die Nächste ein Gesicht?
SeptemberAnnina LigniezStay soft oder weinen erwünscht!
DezemberClaudia GüntherUnter den Wolken: Licht-Zeit